Überall in der digitalen Welt entstehen mit jedem Thema neue Daten. Mit der Dynamik der Open-Data-Bewegung wächst die Menge an Datensätzen, auf die die Öffentlichkeit zugreifen kann. Als Recherche-, Analyse und Darstellungsform gewinnt Datenjournalismus zunehmend an Bedeutung. Mit den richtigen Methoden und Werkzeugen sowie technischem Know-how spüren Datenjournalisten überraschende Geschichten auf. Dabei können Journalisten von Mittelalterhistorikern eine Menge lernen. Was genau zeigt ein Vortrag auf der Datenjournalismus-Konferenz am 4. Juli 2017 in Ulm auf.
http://innovation.mfg.de/de/veranstaltungen/datenjournalismus-praxis-und-perspektiven-1.46616
Geisteswissenschaftler wie Dr. Andreas Kuczera von der Uni Gießen haben eine Methode entwickelt, die uns im sog. Datenjournalismus völlig neue Recherchemöglichkeiten und Einsichten erlaubt.
Grundlage dieser Methode ist die Graphentheorie, ein Teilgebiet der Mathematik. In der Informatik am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang Petri-Netze, die im wesentlichen Graphentheorie
sind.
Diese hat Carl Adam Petri in den 60er Jahren entwickelt. Ohne Petri-Netze wären heutige Anwendungen wie Software für die Unternehmenssteuerung – Beispiel: SAP – überhaupt nicht denkbar. Die
Historiker in Gießen nehmen Methoden aus der Graphentheorie, um damit viele tausend Urkunden und andere Quellen zu erschließen.
Plötzlich ergeben sich dann für die Betrachtung der mittelalterlichen Geschichte ganz neue Ansätze. Man kann zum Beispiel bestimmte Entscheidungen Maximilan I erklären, von denen man bisher nicht
wusste, wie die überhaupt zustande gekommen sind. Aber damit nicht genug.
Diese Methode namens Graphentechnologie lässt sich auch im Journalismus anwenden. Damit kann ich dann plötzlich, wie bei den Panama Papers, Zusammenhänge erkennen und aufdecken, die vorher gar
nicht zu sehen waren, etwa bestimmte Praktiken der Steuerhinterziehung.
Denn Historiker und Journalisten haben eines gemeinsam: Sie suchen in den Quellen nach einer guten Geschichte und müssen die sauber recherchieren. "Sie haben verschiedene Quellen und müssen hier
Zusammenhänge herstellen", schreibt Andreas Kuczera die Aufgabe und erläutert: "Wir versuchen in unseren Quellen, Personen zu identifizieren, Ereignisse, Orte zu vernetzen".
Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei diesen Personen um mittelalterliche Herrscher handelt oder heutige Manager oder Politiker. Und auch die Quellen, aus denen Historiker und Journalisten
ihre Erkenntnisse ziehen, weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf.
Andreas Kuczera hat da ein Lieblingsbeispiel: "Das ist sehr schön gezeigt bei den Panama-Papers, wo Sie zunächst Unterstützungsstrukturen sehen, die gar nicht klar werden."
Plötzlich wird dann über eine Personenkette doch klar, wie diese Verflechtungen aussehen, weil die Schwiegermutter mit dem Schwager von der anderen Seite eben doch irgendwelche
Firmenverflechtungen hat. "Das wird auch im Journalismus immer wichtiger", glaubt Kuczera.
Menschen, die zusammen studiert haben, Manager, die Zugriff auf ein und dasselbe Nummernkonto haben, Politiker, die sich an einem bestimmten Ort getroffen haben, um eine Strategie zu verabreden –
solche Zusammenhänge können mit Hilfe der Graphentechnologie aufgedeckt werden.
Jede Person, jeder Ort, jedes Ereignis wird in der Graphdatenbank als Knoten dargestellt. Jede Eigenschaft und jedes Handeln dieser Knoten als Kante. Daraus wird dann ein Netzwerk. Die
Zusammenhänge in diesen Verknüpfungen sind dann für Journalisten und Geistwissenschaftler das eigentlich Spannende. Der Stoff, aus dem für Journalisten die Skandale sind.
Der datenjournalistische Kongress am 4. Juli 2017 zeigt an Praxisbeispielen, welche Methoden und Werkzeuge zur Verfügung stehen und leicht anzuwenden sind. Außerdem werden die Perspektiven des
Genres als journalistisches Format und Berufsbild diskutiert. Die Veranstaltung bildet den Auftakt für den OPEN! Minds Excellence Club (OMEx). Im Rahmen des OMEx werden Diskussionsforen zu den
Themen der OPEN! – Konferenz für digitale Innovation (www.openkonferenz.de) angeboten. Die Veranstaltung beginnt um 17:00 Uhr und endet um 20:00 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos.
Referenten:
• Jan Georg Plavec, Stuttgarter Zeitung, Stuttgart
• Marie-Louise Timcke, Initiative Journocode, TU Dortmund
• Peter Welchering, DJV, Stuttgart
Veranstaltungsort:
Verschwörhaus , Weinhof 9 , 89073 Ulm
Dr. Andreas Kuczera beschreibt im nachfolgenden Video, welche Recherchen mit Graphentechnologie möglich sind.
Hintergrundvideo "Netzwerker: Wie digitale Geisteswissenschaften Journalisten bei der Recherche helfen"