Chaos bei den Sicherheitsdateien hat zu Entzug der Akkreditierungen auf dem G20-Gipfel geführt

32 Journalisten sind vor einem Monat am Eröffnungstag des G-20-Gipfels von der Berichterstattung ausgeschlossen worden. Neun Journalisten wurden die Akkreditierungen von Polizisten abgenommen. Warum das geschehen ist, ist auch vier Wochen danach noch immer unklar. Bundeskriminalamt, Bundespresseamt und Bundesinnenministerium verweisen anfragende Journalisten auf das jeweils andere Haus und schweigen ansonsten. Das massive Problem dabei: Die Akkreditierung selbst ist nicht gesetzlich geregelt - weder im Bund noch in Baden-Württemberg. Der DJV fordert endlich eine gesetzliche Grundlage für die Akkreditierung von Journalisten auf Regierungsveranstaltungen. Alles andere ist Regieren nach Gutsherrenart.

Aus dem Bundeskanzleramt bzw. von Regierungssprecher Steffen Seibert fehlt es bis heute an einer klaren Stellungnahme. Quelle: DJV/Welchering
Aus dem Bundeskanzleramt bzw. von Regierungssprecher Steffen Seibert fehlt es bis heute an einer klaren Stellungnahme. Quelle: DJV/Welchering

Die Recherchen von Reportern des Deutschlandfunk haben die Hintergründe des Entzugs der Akkreditierungen auf dem G20-Gipfel aufgezeigt: Die Überwachungsdateien der Sicherheitsbehörden sind in technischer Hinsicht ein Stück weit außer Kontrolle. Das haben auch BKA-Beamte im Gespräch mit DLF-Journalisten bestätigt. Die Beamten wollen mit ihrer teils harschen Kritik anonym bleiben, weil sie berufliche Nachteile fürchten.

Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff,  hatte schon in ihrem letzten Tätigkeitsbericht gemahnt. "Daten werden im Ergebnis zur Verdachtsgenerierung gespeichert".
 
Mitunter wird aus einem bloßen Verdacht dann ein sicherheitsrelevanter Hinweis, weil nicht mehr nachvollzogen werden kann, wie ein bestimmter Dateieintrag zustande gekommen ist. "So habe ich immer wieder auf die fehlende Protokollierung verschiedener Dateien hingewiesen", hebt Andrea Voßhoff hervor.

Solche Fehler haben letztlich dazu geführt, dass Polizisten Journalisten am Eingang zum Medienzentrum unzulässig die Akkreditierung abgenommen haben. Das Misstrauen gegen die Sicherheitsdateien Bundeskriminalämtern, Verfassungsschützern und Bundesnachrichtendienst wächst. Und das zu Recht.

Einträge in Straftäterdateien für unbescholtene Journalisten

Ein weiteres Risiko: Die Sicherheitsdateien werden zu selten geprüft. "Solche Prüfungen sind zeit- und personalintensiv, weshalb sie nicht routinemäßig durchgeführt werden können," urteilt Volker Broo, Referatsleiter beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg.

So ist die sogenannte Straftäterdatei Linksextremismus zuletzt im Jahr 2011 vom damaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz Peter Schaar geprüft worden. Das Ergebnis: Einige tausend Einträge mussten gelöscht werden.

Nicht selten landen in dieser Straftäterdaten die Namen von völlig unbescholtenen Bürgern, die niemals wegen einer Straftat vor einem Gericht standen und gegen die auch kein Ermittlungsverfahren läuft. Dem liegt ein methodischer Fehler zugrunde.

Zum einen  werden sogar Anmelder von Demonstrationen und sogenannte „Prüffälle“ in diese Straftäterdatei aufgenommen. Zum anderen werden auch Namen aus Projektdateien übernommen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt führt.

„Dabei musste ich schwere Rechtsverstöße feststellen“, urteilt Datenschützerin Andrea Voßhoff in ihrem Tätigkeitsbericht 2015/2016. Denn hier waren Personen gespeichert, die an einer vollkommen friedlichen Anti-Kernkraft-Demonstration teilgenommen hatten.

Fragwürdige politische Einschätzungen im Innenministerium

Im Bundesministerium des Inneren rechtfertigt man diese Vorgehensweise, weil die Teilnehmer an einer solchen Demonstration „die Nutzung der Kernkraft als Ausdruck des menschenverachtenden kapitalistischen Systems kritisieren und dementsprechend Kernkraftgegner dieses kapitalistische System überwinden wollten.“

Noch schlimmer sieht es bei den sogenannten Vorsorgedateien mit Prüffällen im Bundeskriminalamt aus. Da geraten denn auch schon einmal Datenfelder bei Abfragen so durcheinander, dass gar nicht mehr nachvollzogen werden kann, weshalb ein bestimmter Eintrag vorgenommen worden ist.

Außerdem wird die technisch notwendige und gesetzlich in vielen Fällen vorgeschriebene Protokollierung für alle Einträge in diesen Dateien in vielen Fällen einfach umgangen, nachträglich verändert  oder einfach ausgeschaltet.

Wir haben es hier in der Tat mit einem datenbanktechnischen Problem zu tun, allerdings mit einem politisch gewollten datenbanktechnischen Problem. Und das heißt: Umgang mit den Sicherheitsdateien der Behörden. Da gibt es Dateien des Bundeskriminalamtes, die für bestimmte Ereignisse und Ermittlungen rein vorsorglich, auf Verdacht sozusagen, angelegt werden.
 
Es gibt Straftäterdateien, in die aber keineswegs nur Straftäter eingetragen werden. Die Verfassungsschützer legen Dateien an, bei denen massive Fehler bei der Verknüpfung von persönlichen Daten und anderen Rechercheergebnissen gemacht wurden und werden. Kurz zusammengefasst: Die Dateien der Sicherheitsbehörden sind in technischer Hinsicht ein gutes Stück weit außer Kontrolle geraten.

Peter Welchering