Über die Freiheit, man selbst sein zu können
- Vielfalt und Akzeptanz in der Arbeitswelt
Die diesjährige Teilnahme des DJV Baden-Württemberg am CSD begann im Vorfeld mit einem Online-Talk von Albert Kehrer, Gründer der Stiftung "Prout at Work". Prout at Work verfolgt das Ziel einer Arbeitswelt, die für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, offen ist.
Kehrer ist Coach und Unternehmensberater und beschäftigt sich seit 17 Jahren mit Diversity in Unternehmen. Seine Themen: Wie können wir von Vielfalt profitieren? Wie sollten wir mit Vielfalt umgehen? Warum haben wir Angst vor dem Anderen und wie können wir unsere Vorbehalte abbauen? Das Verbergen der eigenen Identität kann zu einem Verlust an Lebensfreude und Produktivität führen.
Die Freiheit, man selbst sein zu können, ist also nicht nur eine Frage der persönlichen Zufriedenheit, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf die Arbeitsleistung. Im Nachgang der Veranstaltung nennt Albert Kehrer dem „Blickpunkt“ drei Studien der Boston Consulting Group (BCG), die tiefere Einblicke in die Bedeutsamkeit von Vielfalt und Inklusion in der Arbeitswelt bieten. Zudem beantwortet er uns einige Fragen.
Chefsache Diversity:
Albert Kehrers Empfehlungen für ein inklusives Arbeitsumfeld
Frage: Welche Erkenntnisse aus den Studien haben Sie denn am meisten überrascht?
Albert Kehrer: Dass die Diskriminierungserfahrungen unverändert hoch sind, d.h. dass weiterhin 75 % der LGBTQ+ Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz machen. Die BCG-Studie bestätigt das. Das heißt, obwohl wir mehr rechtliche Gleichstellung haben, scheint es immer noch viel Homophobie im Land zu geben.
Frage: Gleichzeitig ist die Bereitschaft, sich zu outen, gestiegen...
Albert Kehrer: Das ist richtig. Es ist eine gute Nachricht, dass die Menschen immer offener mit dem Thema umgehen. Erschreckend ist aber, dass die Diskriminierungserfahrungen nicht abnehmen.
Frage: Was können Unternehmen tun, um Diskriminierung wirksam abzubauen?
Albert Kehrer: Viel mehr Unternehmen als noch vor zehn Jahren wollen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Es geht letztlich darum, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Menschen outen können. Das heißt aber auch, Führungskräfte so zu schulen, dass sie damit umgehen können, wenn sich jemand outet. Und dass sie Menschen begleiten, wenn sie sich outen oder wenn eine transsexuelle Person in der Transition ist. Sie müssen auch Präzedenzfälle von Diskriminierung ganz klar ahnden und sagen: Das ist bei uns nicht erwünscht.
Frage: Was kann man von den Unternehmen lernen, die es besser machen als andere?
Albert Kehrer: Diversity muss Chefsache sein, denn die Hierarchie hat Einfluss in den Unternehmen. Nur wenn man ganz oben davon überzeugt ist, dass das ein wichtiges Thema ist, werden Budgets zur Verfügung gestellt und dann passiert auch etwas. Dann muss man auch ein
Netzwerk von Mitarbeitenden fördern, weil das zum einen ein Safe Space ist für Leute, die sich noch nicht geoutet haben. Da können sie sozusagen lernen, wie man mit dem Thema umgeht. Zum anderen könnte dieses Netzwerk Verbesserungsvorschläge machen. Denn es ist ja immer sehr betriebsspezifisch, was gemacht werden muss und da hilft so ein Mitarbeitenden-Netzwerk (manchmal versteht Siri lustige Dinge, wenn ich diktiere :-)) natürlich schon enorm.
Frage: ist die Situation in der Medienbranche genauso schlecht oder gut wie alle anderen Branchen?
Albert Kehrer: Da ist es nicht besser als in anderen Branchen. Die Medien haben aber auch einen gesellschaftlichen Auftrag und könnten viel mehr Diversity vorleben. Sie könnten Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung, Menschen mit Behinderung usw. sichtbar machen, damit sie alltäglich werden. Sodass wir keine außergewöhnlichen Themen mehr sind, sondern einfach zu unser aller Leben gehören.
Studie: Out@Work-Barometer
Die Studie basiert auf den Antworten von mehr als 4.000 Teilnehmer*innen aus über zehn Ländern und 60 Nationalitäten. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass zwar 85 % der deutschen LGBT+ Talente bereit sind, ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz preiszugeben, aber lediglich 37 % dies tatsächlich gemacht haben. In Deutschland glauben 38 % der LGBT+ Talente, dass Offenheit am Arbeitsplatz ihr Leben erleichtern würde. Dennoch betrachten 22 % der Befragten dies als Risiko für ihre Karriereentwicklung und 42 % würden ihre Vorgesetzten über ihre sexuelle Orientierung anlügen.
Studie: Warum das erste Jahr für LGBTQ+-Mitarbeiter wichtig ist
Diese nicht repräsentative Umfrage wurde speziell auf Mitarbeiter*innen in Unternehmensumgebungen mit hohem Bildungsniveau ausgerichtet. Eine bedeutende Erkenntnis ist, dass die meisten LGBTQ+ Mitarbeiter*innen entweder innerhalb der ersten zwölf Monate am Arbeitsplatz ihr Coming-out haben oder gar nicht. LGBTQ+ Mitarbeiter, die ihre Identität offen kommunizieren, fühlen sich wohler und sind eher bereit, sich am Arbeitsplatz zu äußern und Freundschaften zu schließen. Unternehmen profitieren von einer inklusiven Kultur.
Studie: Die neue LGBTQ-Belegschaft ist da - integrative Kulturen müssen folgen
„A New LGBTQ Workforce Has Arrived—Inclusive Cultures Must Follow“ zeigt, dass die LGBTQ-Belegschaft heute besonders bei jüngeren Generationen vielfältiger ist. Allerdings sind 40 % der LGBTQ-Angestellten am Arbeitsplatz noch nicht geoutet. Insgesamt gaben 75 % der LGBTQ-Angestellten an, im letzten Jahr aufgrund ihrer Identität am Arbeitsplatz negative Erfahrungen gemacht zu haben. Die Studie belegt, dass LGBTQ-Mitarbeitende, die ihre Identität offen leben, ein höheres Maß an psychischer Sicherheit empfinden. Negative Erfahrungen führen zu Einschränkungen in Bezug auf Innovationskraft und Produktivität. Zudem neigen Mitarbeitende eher dazu, aufgrund der Unternehmenskultur ihren aktuellen Job zu verlassen.
Von Susann Mathis
Fotos/Collage: DJV BW