Für viele Kolleg*innen im Lokalen ist „Blaulichtjournalismus“, also die Berichterstattung über Unfälle oder sonstige Einsätze von Polizei, Rettungsdiensten oder Feuerwehr, Teil ihrer täglichen Arbeit. Dabei ist es wichtig, schnell am Ort des Geschehens zu sein, um Fotos oder Videos machen zu können sowie mit Einsatzkräften und Betroffenen Interviews zu führen. Zumindest bei Unfällen auf Autobahnen dürfte das leider künftig sehr viel schwieriger werden.
Wenn sich auf einer Autobahn oder einer Bundesstraße ein größerer Unfall ereignet, bildet sich naturgemäß innerhalb von wenigen Minuten ein erheblicher Stau. Um dann als Reporter*in überhaupt noch an den Unfallort zu kommen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man schafft es, sich über Feldwege neben der Autobahn, über Brücken oder Raststätten möglichst nah an die Örtlichkeit durchzuschlagen, was oft trotz guter Ortskenntnisse schwierig und auch nicht in allen Fällen legal ist. Oder man fährt auf dem Standstreifen oder in der Rettungsgasse am Stau vorbei, hält an der Unfallstelle an, steigt dort aus dem Auto aus und geht seiner Arbeit nach. Das Problem dabei ist aber: Die Straßenverkehrsordnung sieht auch für Journalist*innen bei der Arbeit empfindliche Strafen vor, sowohl für das Befahren von Standstreifen, Rettungsgassen oder Betriebsausfahrten als auch für das Anhalten und Aussteigen auf der Fahrspur. Neben hohen Bußgeldern und Punkten in Flensburg drohen auch Fahrverbote oder in Einzelfällen sogar der Entzug des Führerscheins.
Diese Erfahrung musste auch eines unserer Mitglieder machen, das davor viele Jahre völlig unbehelligt als Blaulichtjournalist im Rhein-Main-Gebiet auch auf Autobahnen tätig war. Denn: Früher war
es oft so, dass Polizeikräfte ein Auge zudrückten und keine Verfahren einleiteten, wenn die Kolleg*innen wie in diesem Fall vor Ort bekannt waren und als zuverlässig galten. Doch seit einigen
Jahren ist es mit dieser lange gelebten Praxis vorbei und es hagelt Bußgeldbescheide. Der einzige Ausweg, um weiterhin legal seiner Arbeit nachzugehen, war danach die Beantragung einer
Ausnahmegenehmigung, mit der Verkehrsteilnehmer von einzelnen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung, wie z. B. dem Verbot des Befahrens des Standstreifens oder dem Betreten der Fahrspur,
befreit werden können. Zumindest in Teilen Bayern war es einige Zeit lang durchaus üblich, Journalist*innen auf Antrag solche Ausnahmegenehmigungen auszustellen.
Nicht zuletzt aus Gründen der Gleichbehandlung hatte auch unser Mitglied eine solche Ausnahmegenehmigung beantragt, die ihm aber versagt worden war. Hiergegen wandte er sich mit einer Klage vor
dem Verwaltungsgericht Karlsruhe, welche jetzt in zweiter Instanz vom VGH Mannheim endgültig abgewiesen wurde. Die Gerichte begründen ihre Entscheidung verkürzt gesagt damit, dass das Verbot zum
Befahren der Autobahn die Pressefreiheit gar nicht tangiere. Vielmehr sei eine Unfallstelle zwar eine „Informationsquelle“, die aber aufgrund der erschwerten Anfahrt nicht allgemein zugänglich
sei, weshalb sich der Kläger auch nicht auf die allgemeine Informationsfreiheit berufen könne. Selbst wenn sei bei einer Abwägung zwischen der Pressefreiheit bzw. dem Informationsinteresse der
Öffentlichkeit einerseits und der Verkehrssicherheit andererseits der letzteren der Vorrang zu geben, weshalb insgesamt kein Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung für Journalist*innen bestünde.
Nachzulesen auch in folgender Pressemitteilung:
https://verwaltungsgericht-karlsruhe.justiz-bw.de/pb/,Lde/10008301/?LISTPAGE=9908851
Mit der Entscheidung der Gerichte wird aus unserer Sicht die Berichterstattung von Unfällen auf Autobahnen praktisch unmöglich gemacht. Ausnahmegenehmigungen werden nicht mehr erteilt werden, und
auch die Polizei wird sich in ihrem rigorosen Vorgehen gegen Verkehrsverstöße bestätigt fühlen. Doch auch das Argument „Verkehrssicherheit“ verfängt nur bedingt, denn Journalist*innen sind eben
keine Gaffer, sondern haben über viele Jahre bewiesen, dass sie sich an heiklen Einsatzstellen professionell verhalten und mit ihrer Arbeit weder die Rettungskräfte vor Ort behindern noch die
Persönlichkeitsrechte von Betroffenen missachten.
Künftig werden sich die Kolleg*innen also immer häufiger auf Pressemitteilungen oder sogar eigenes Bildmaterial der Einsatzkräfte verlassen müssen, ein Trend, den wir schon seit vielen Jahren im
„Blaulichtbereich“ mit Sorge beobachten. Denn selbstverständlich wird damit eine möglicherweise auch kritische Berichterstattung über die Arbeit der Kräfte vor Ort von vornherein unterbunden.
„Fun fact“ zum Schluss: In dem Verfahren ging es auch um die Frage, welche Behörde in Deutschland für Ausnahmegenehmigungen auf Autobahnen zuständig sind. Denn: Nach Auffassung des Gerichts sind das laut Straßenverkehrsordnung zwei verschiedene, nämlich einmal die örtlichen Regierungspräsidien und andererseits die Autobahn-GmbH des Bundes. Heißt: Selbst wenn ein Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung bestünde, müsste diese für die verschiedenen Teile der Autobahn bei verschiedenen Behörden beantragt werden. Ein Schildbürgerstreich, der an Absurdität kaum zu überbieten ist.