Der Alltag eines Medienschaffenden ist heute mit viel Druck verbunden: Immer mehr Arbeit wird auf immer weniger Schultern verteilt, Sorgen um Honorarleistungen, die kaum noch dazu ausreichen, den Lebensunterhalt zu finanzieren, drücken einen nieder.
Medienhetze und Anfeindungen im beruflichen und privaten Umfeld werden immer mehr zum Alltag.
Aber wem sich anvertrauen, wenn Warnzeichen für Über(be)lastung, Burnout oder Depressionen einen in einer Branche erwischen, die darauf ausgelegt ist, wahrheitsgetreu und qualitativ
hochwertig plötzliche Ereignisse oder komplexe Sachverhalte schnell an die
Frau und an den Mann zu bringen?
Zudem ist es auch nicht leicht, jemanden zu finden, der einen genau versteht, der die Herausforderungen des Medienalltags kennt, und weiß, dass wenig Glanz und Glamour, sondern oft sehr
harte Arbeit dahinterstecken.
Im November 2023 startete nun unter Beteiligung von Netzwerk Recherche e. V. ein wichtiges Hilfe-Angebot: die Helpline für Journalist*innen, eine unabhängige, anonyme und in der Leistung kostenlose Telefonberatung. Malte Werner stellt im #djvbw-Gespräch das Projekt näher vor, spricht über die psychologischen Herausforderungen eines Medienschaffenden und über Hürden und Hemmungen, sich Hilfe zu suchen und anzunehmen.
Malte Werner: Vor gut zwei Jahren kam das Dart Centre For Journalism and Trauma auf uns zu. Es sitzt eigentlich an der Columbia University in New York, hat aber auch einen europäischen Arm. Zwei Kolleginnen sprachen uns an: ‘Wir haben das Know How in Sachen Trauma und Mentale Belastungen und ihr das große Netzwerk innerhalb der Branche. Lass uns doch zusammenarbeiten‘.
Das Besondere an der Helpline ist, dass sie für alle Journalist*innen angedacht ist, egal ob festangestellt oder frei. Jede*r Medienschaffende kann sich an diese Telefonberatung wenden und muss
auch kein Mitglied bei uns sein. Sie ist für alle offen, auch Kamera- oder Tonleute, für jeden, der mit journalistischer Inhaltsproduktion zu tun hat.
Wer sind die Personen, an die ich mich bei Anruf mit sehr persönlichen Anliegen und Einblicken wende?
Malte Werner: Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass es Journalist*innen sind, die zuhören und Beistand geben. Wir arbeiten auf Basis des sogenannten Peer-Support-Ansatzes. Das
heißt, es sitzen keine ausgebildeten Psycholog*innen am Telefon und nehmen die Gespräche entgegen, sondern es sind speziell geschulte Kolleg*innen, die in verschiedenen Gesprächstechniken, wie
aktives Zuhören, psychologische erste Hilfe und so weiter trainiert
sind. Im Vorfeld haben wir uns dazu als Gruppe gemeinsam Gedanken gemacht: Wo liegen unsere Grenzen als Peer? Wo können wir helfen, wo können wir aber auch nicht mehr helfen? Mit welchen Themen
könnten die Leute bei uns anrufen?
Das Gute an diesem Peer-Support-Ansatz ist, dass Peers, die am Telefon sitzen, die Probleme der Leute, die anrufen, entweder selbst tatsächlich kennengelernt haben, oder sie zumindest ein Stück
weit nachvollziehen können. Wir wissen, wie stressig der Job ist, welche Konflikte es in Redaktionen gibt. Dementsprechend ist der Ansatz, glaube ich, in dem Fall hilfreich, weil der Anspruch
dieser Helpline eben nicht ist, zu therapieren. Wir sind keine Psycholog*innen, wir diagnostizieren nicht, wir therapieren nicht, sondern es ist erstmal nur ein ganz niedrigschwelliges
Gesprächsangebot. Wir hören einfach erstmal nur zu. Die Leute können uns ihr Herz ausschütten, sie können sich auch einfach mal auskotzen, wenn es sein muss.
Nach wie vor ist die Hemmschwelle hoch, über den eigenen psychischen Zustand zu sprechen – zugeben zu müssen, dass man an seine Grenzen stößt, die Unsicherheit, richtig verstanden und
nicht für seine vermeintliche Schwäche beurteilt / verurteilt zu werden. Wir vergleichen uns, sehen, dass andere es hinkriegen, und wir eben nicht. Man stellt sich da oft die
Frage: Bin ich nicht belastbar genug? Der Erwartungskatalog in unserer Branche ist da draußen einfach immens. Schnell landet man bei dem Gedanken: Wenn ich das so sehe – die anderen schaffen das
doch auch, wieso schaffe ich das nicht?
Malte Werner: Ich glaube, dass natürlich jede*r ein ganz individuelles Level von Belastbarkeit hat. Das ist vollkommen normal, und das muss man auch einfach mal anfangen zu akzeptieren. Ich denke, uns allen ist klar, dass wir einen Job machen, der sehr stressig ist.
Es gibt Phasen, da muss man mal über den Feierabend hinaus arbeiten, und ich glaube, da hat auch im Grunde niemand etwas dagegen. Aber das kann kein Dauerzustand sein, weil der Körper braucht Erholung, der Geist braucht Erholung. Ich glaube, das Fatale bei uns in der Branche ist, dass dieser Dauerzustand oft als normal und selbstverständlich angesehen wird, und zumindest bei den alteingesessenen Führungsriegen auch als Voraussetzung für eine Karriere gesehen, schlichtweg auch erwartet wird.
Dieses Mindset muss sich einfach dringend ändern. Wer will schon unter ständigem Druck arbeiten, immer mit dem Wissen, seine Jobsorgen und übermäßige Arbeitsbelastung nicht äußern zu dürfen. Da stehen die Führungsetagen in der Verantwortung. Es braucht einen Kulturwandel, damit sich das ändert. Redakteur*innen sollten sich gar keine Gedanken machen müssen, ob sie zu ihrem Vorgesetzten hingehen und sagen können, dass das Thema sie belastet oder die Arbeitsbelastung generell zu hoch ist, und vor allem sollten sie keine Angst haben müssen, dass dann zurückkommt: „Du kannst ja auch gehen, wenn du es nicht packst.“ Wir müssen dahinkommen, dass es nicht mehr mit Scham behaftet ist, zu sagen: „Stopp, ich komme hier an meine Grenzen.“ Die Möglichkeit für einen offenen Umgang wäre wichtig, damit man es nicht in sich hineinfrisst und es einen selbst nicht noch mehr unter Druck setzt. Denn das ist langfristig nicht gesund.
Meinst du, dass die Hemmschwelle bei unseren Kolleg*innen, solche Hilfsmöglichkeiten anzunehmen, genau aus den Gründen, wie du auch gesagt hast, höher ist als in anderen Branchen?
Malte Werner: Ich glaube tatsächlich, dass da noch eine höhere Hemmschwelle ist, einfach weil es diese Tradition in der Branche gibt, dass wir alle harte Hunde sind und
Überstunden kloppen und darauf noch stolz sind. Z. B. am Fotodesk das 1000ste Bild aus Gaza uns angucken und trotzdem irgendwie danach so tun, als wäre alles super. Von daher glaube ich, ja. Aber
ich sehe auch, dass sich das jetzt bei den jungen Leuten schon etwas ändert. Aber
wir älteren Semester haben das alle so kennengelernt, so hat sich diese Einstellung irgendwie auch bei uns eingebrannt. Klar gibt es sicherlich manche, die sind reflektierter und gehen offener
damit um als andere.
Aber wir vergessen oft eines: Wir im Journalismus zählen zu den First Respondern. Lokalreporter*in sind nach Polizei und Rettungsdienst oftmals auch ganz früh mit vor Ort und sehen dann eben
Schlimmes, etwa einen schrecklichen Unfall. Und wie die Person irgendwie aus dem Auto geschnitten wird. Rettungskräfte und Polizei, die haben diese
psychologischen Versorgungsstrukturen. Wenn es da einen schlimmen Einsatz gab, haben sie die Möglichkeit, die entsprechenden Dienste in Anspruch zu nehmen. Bei uns ist sowas kaum vorstellbar, wir
sollen das einfach wegstecken. Also zurück in die Redaktion, dann heißt es, schreib die Geschichte, wenn du die Geschichte abgegeben hast, wartet schon die nächste. Bis auf die kurze Kaffeepause
oder die schnelle Mittagspause hast du eigentlich gar
keine Möglichkeit, mal durchzuatmen, das zu reflektieren, das zu verarbeiten, was du gerade erlebt hast. Das macht doch etwas mit einem. Und dann machst du Feierabend, gehst einfach nach Hause
und das wars.
Ich glaube wirklich, dass es bei vielen Leuten nicht angekommen ist, dass es Hilfsangebote braucht und geben muss. An der Stelle müsste man sich erst mal eingestehen, dass man Hilfe braucht, und
das tun, glaube ich, schon ganz viele nicht, weil sie sich das selbst nie eingestehen würden, weil es noch heute als ein Zeichen von Schwäche gewertet wird. Und das in unserem Beruf, gerade in so
Redaktionsstrukturen der alten Schule, glaube ich, wird
das nicht akzeptiert, oder zumindest nicht gern gesehen.
Natürlich muss man hier auch anmerken, dass es Medienhäuser gibt, die solche Angebote schon haben – große Verlage, auch die Öffentlich-Rechtlichen. Wer oft durch das Raster durchfällt, sind mal
wieder und wie so oft die Freien, die sich nicht einfach an diese Angebote wenden dürfen. Und was es auch geben soll – das habe ich zumindest gehört – sogenannte Inhouse-Lösungen. Die sehen dann
so aus, dass einmal im Monat ein externer psychologischer Dienstleister in die Redaktion kommt und sagt: „Ich sitze hier im Raum. Wenn es dir schlecht geht, komme mich in der Mittagspause
besuchen und wir reden.“
Das ist natürlich etwas, was ja, glaube ich, auf wenig Resonanz stoßen wird, oder nur von jemandem, der wirklich sehr selbstbewusst ist, genutzt wird. Den Mut haben, an allen Kolleg*innen im Raum
vorbeizugehen und sich in den Raum zu setzen … das ist mutig. Jede*r weiß dann, dass ich da mit dem Psychologen spreche, und wenn ich rauskomme, weiß bzw. unterstellt mir jede*r, dass ich ein
Problem habe. Damit muss man umgehen können. Das finde ich keine gute Umsetzung. Noch brauchen wir einfach diese Anonymität, die wir mit der Helpline ja auch garantieren wollen - weil es einfach
den Kulturwandel im Umgang mit psychischen Belastungen braucht, den ich bereits erwähnt habe, und den es leider immer noch nicht gibt.
Das #djvbw-Gespräch führte Astrid
Listner